Der Morbus Perthes ist eine relativ häufige, aber immer noch kontrovers diskutierte kindliche Hüfterkrankung. Die Erkrankung beschreibt eine Durchblutungsstörung des kindlichen Hüftkopfes unbekannter Ursache und wird meist durch eine Durchblutungsstörung (Ischämie) und ein Absterben (Nekrose) von Knochengewebe im Hüftkopf verursacht.
Der Morbus Perthes gehört zur Gruppe der aseptischen Osteochondrosen im Kindesalter. Sie ist gekennzeichnet von einem Absterben (Nekrose) der Epiphyse und einem allmählichem Wiederaufbau. Die Epiphyse liegt oberhalb der Wachstumsfuge und ist den Hautdruckkräften im Hüftgelenk ausgesetzt. Bei ungünstigem Verlauf der Erkrankung kommt es zu einer Abflachung der Epiphyse mit Verbreiterung des Kopfes. In der Folge entwickeln die Kinder Schonhinken, Knieschmerz und Hüftgelenksrotationseinschränkungen.
1910 wurde die Erkrankung fast zeitgleich von dem deutschen Chirurgen Georg Clemens Perthes, von J. Calvé in Frankreich und von A.T. Legg in den USA beschrieben. Trotz seit fast 100 Jahren durchgeführter Forschung ist die Ätiologie der Erkrankung weiterhin ungeklärt.
Die Prävalenz beträgt etwa 1:1200. Die Erkrankung tritt zwischen dem 3. und 12. Lebensjahr (hauptsächlich zwischen dem 5. und 9. Lebensjahr) auf und betrifft überwiegend Jungen mit weißer Hautfarbe (diese sind etwa 4x häufiger betroffen als Mädchen).
Bei 15 Prozent der Kinder sind beide Seiten gleichzeitig betroffen. Der Morbus Perthes ist neben der Osteochondrosis dissecans die häufigste aseptische Knochennekrose. Mit einer Inzidenz von fünf Fällen auch 100.000 Einwohner tritt die Erkrankung relativ häufig auf.
Die Ursachen des Morbus Perthes sind bislang noch weitgehend unbekannt. Als mögliche Ursachen werden verschiedene Theorien diskutiert.
Die wichtigsten Theorien sind:
Bei Kindern dieser Altersgruppe ist die Durchblutung des Hüftkopfes, die aus intraartikulär am Schenkelhals verlaufenden Gefäßen resultiert, besonders vulnerabel. Anatomisch gesehen ist die Durchblutung des Hüftkopfes als eher kritisch anzusehen. Die Durchblutung erfolgt hauptsächlich vom Schenkelhals und von einer Arterie, welches zusätzlich in den Hüftkopf mit einstrahlt. Ursächlich wird eine Minderanlage der Blutgefäßversorgung diskutiert. Vermutlich liegen Gefäßfehlbildungen vor, die auch bei normalem Gefäßbett die Durchblutung des Hüftkopfes beeinträchtigen. Das Ausmaß der Durchblutungsstörung ist entscheidend für den Verlauf der Erkrankung und für die Regeneration des Hüftkopfes.
Im Frühstadium führt sie zu einer Gelenkreizung mit Gelenkergüssen und verursacht ähnliche Beschwerden wie die rheumatischen Erkrankungen. Im weiteren Verlauf kommt es zu einem Zusammensintern der Hüftkopfkugel, oft verbunden mit einem seitlichen Auswandern aus dem Gelenkkugellager im Becken und der Gelenkpfanne. Später bildet sich eine bleibende Verformung von Kopf und Pfanne mit einer entsprechenden Bewegungsstörung, aufgrund des verkürzten Beines. Ein früher Verschleiß des Hüftgelenkes ist vorbestimmt.
Experten vermuten, dass es durch wiederholte Mikrotraumen des Hüftkopfes zu kleinen Frakturen des fragilen Spongiosagerüsts im kindlichen Hüftkopf kommt. Da die Erkrankung gehäuft bei überaktiven Kindern auftritt, ist diese Theorie sehr glaubhaft:
Im Frühstadium der Erkrankung sind die klinischen Anzeichen einer Pertheserkrankung zunächst häufig nur unspezifisch. Häufig werden folgende Beschwerden beobachtet bzw. angegeben:
Die Beschwerden können sich aufgrund von Belastung und Reizzustand des Gelenkes häufig wechseln.
Die Erkrankung des Morbus Perthes verläuft typischerweise in vier Stadien nach Catterall. Die Einteilung erfolgt nach Ausprägung der Hüftkopfbeteiligung. Es gibt individuelle Unterschiede im Verlauf der Erkrankung, nicht alle Stadien müssen in der beschriebenen Form und Ausprägung vorkommen.
Nachfolgend werden die einzelnen Stadien dargestellt:
Im Stadium I ist nur ein kleiner oberflächlicher Teil des Hüftkopfes (nur der Dom der Epiphyse) betroffen. Zunächst kommt es nur zu einer Verbreiterung der Wachstumsfuge. Die Veränderungen sind nur sehr schwierig auf dem Röntgenbild zu erkennen.
Im Gegensatz zum Stadium I besteht hier eine größere Durchblutungsstörung im Bereich des Hüftkopfes (maximal 50 Prozent des Hüftkopfes sind betroffen). Es kommt regelhaft ein Sequester zur Darstellung.
Hier ist der gesamte Hüftkopf von der Durchblutungsstörung betroffen (maximal 75 Prozent des Hüftkopfes sind betroffen). Meist erfolgt eine Ausbildung eines besonders großen Sequesters. Die Prognose ist insgesamt als ungünstig zu werten.
In diesem Stadium ist der gesamte Hüftkopf betroffen. Es kommt zu einer vollständigen Destruktion des Hüftkopfes und die Gefahr, dass der Resthüftkopf vom Schenkelhals abrutscht. Hier ist die gesamte Femurkopfepiphyse nekrotisch.
1982 wurden von Catterall zusätzlich Risikofaktoren für einen ungünstigen Verlauf beschrieben, die auch als so genannte "head-at-risk" Zeichen bezeichnet werden. Hierzu gehören:
Die Catterall Klassifikation hat jedoch nur eine eingeschränkte Reliabilität und prognostische Aussagekraft.
Eine weitere wichtige Einteilung ist die Einteilung nach Herring. Für die Langzeitprognose hat sie entscheidende Bedeutung. Der Hüftkopf wird hierbei in drei Pfeiler eingeteilt, wobei der äußere / laterale Pfeiler von großer Bedeutung ist (seitlicher Anteil der Femurkopfepiphyse). Der seitliche Anteil dient als abstützende Säule für die restliche Epiphyse.
Kommt es zu einer Höhenminderung dieser Säule, so weist dies eine ungünstige Prognose auf, da hierdurch die Wahrscheinlichkeit einer Abflachung der Gesamtepiphyse größer ist und damit das Risiko einer bleibenden Hüftkopfdeformierung.
Die klinische Untersuchung kann in den Anfangsstadien der Erkrankung unauffällig sein. Mit fortschreitendem Stadium kommt es zu den typischen Beschwerden, die oben aufgelistet sind. Bei der klinischen Untersuchung fällt meist ein hinkendes Gangbild auf.
Es macht sich vor allem eine zunehmende Bewegungseinschränkung des Hüftgelenkes bemerkbar. Zudem kommt es zu einer Einschränkung in der Abspreiz- und Drehbeweglichkeit im Hüftgelenk, so dass es zu einem positiven Viererzeichen kommt. Zunächst sind Innenrotation und Abduktion eingeschränkt, später auch die Beugung und Streckung. Zusätzlich kann eine Beinlängendifferenz durch eine Adduktionskontraktur oder durch den Kollaps der Epiphyse vorliegen.
Die verschiedenen Stadien können vor allem im Röntgenbild gut voneinander abgegrenzt werden. In der Frühphase der Erkrankung kann die Diagnose einer Morbus Perthes lediglich mit dem MRT (Magnetresonanztomographie) sicher gestellt werden.
Typische Veränderungen im Röntgenbild:
Im Initialstadium kann die Diagnose meist nur durch eine Magnetresonanztomographie (MRT) gestellt werden. Dies bedeutet jedoch bei kleineren Kindern eine Vollnarkose. Da die Initialphase jedoch nur wenige Wochen andauert und die Beschwerden sich häufigerst in der Kondensationsphase einstellen, kommt es auch erst dann zur Diagnose. Hier reichen dann Röntgenbilder in zwei Ebenen. Nur fortgeschrittene Veränderungen sind im Röntgenbild erkennbar. Im Verdachtsfall kommt daher meist die MRT (Magnetresonanztomographie) zum Einsatz.
Bei ausgeprägtem Befall oder erhöhtem Risiko der Kinder muss die Bildgebung mindestens alle vier Monate wiederholt werden bis das Regenerationsstadium erreicht ist. Eine weitere Deformierung ist ab hier nicht mehr zu erwarten, abgesehen von einem Trochanterhochstand. Dieser sollte auf jeden Fall durch eine Verödung der Wachstumsfuge im Wachstum gebremst werden, damit sich kein hinkendes Gangbild entwickelt.
Wichtige Differentialdiagnosen des Morbus Perthes sind:
Ziel aller Therapieoptionen ist der Erhalt der Hüftkopfüberdachung (Containment) bei gleichzeitiger Vermeidung von Wachstumsstörungen (Wachstumsfugen-Läsionen). Zudem soll eine Verformung des Hüftkopfes während der Phase der verminderten Belastbarkeit verhindert werden. Sind schon Verformungen vorhanden, so muss eine Wiederherstellung der Gelenkkongruenz das Ziel sein. Erst dann besteht Aussicht auf ein dauerhaft und schmerzfrei bewegliches Hüftgelenk.
Um diese Behandlungsziele zu erreichen, gilt das Prinzip des Containments, das heißt des Erhalts oder der Wiederherstellung der Zentrierung des Hüftkopfes. Die Therapie orientiert sich am radiologischen Schweregrad der Erkrankung, am Vorliegen von Risikofaktoren, am Ausmaß der Bewegungseinschränkung des Hüftgelenkes und am Alter des Patienten.
Aufgrund der unterschiedlichen Verlaufsformen des Morbus Perthes muss für jeden Patienten das therapeutische Vorgehen individuell festgelegt werden. In der Regel ist eine der individuellen Situation angepasste Behandlung und Kontrolle bis in das Erwachsenenalter erforderlich.
Der Morbus Perthes ist eine selbstheilende Erkrankung. Eine Behandlung wird nur deshalb durchgeführt, da hier das Risiko einer Verformung des Hüftkopfes besteht, woraus sich sekundär eine Hüftarthrose im Erwachsenenalter ausbilden kann.
Bei Kindern unter fünf Jahren und bei Fehlen von Risikofaktoren reicht in der Regel eine ärztliche Beobachtung mit regelmäßigen Röntgenkontrollen aus (Verlaufsbeobachtung), so genannter "supervised neglect". Zum Teil kann auch eine zwischenzeitliche Bettruhe verbunden mit einer passageren Extensionsbehandlung oder Anlage eines Spreizgipses erforderlich sein.
Die Therapie des Morbus Perthes muss immer individuell gestaltet werden. Daher kann keine pauschale Therapieempfehlung ausgesprochen werden. Der Morbus Perthes hat einen Krankheitsverlauf von mehreren Jahren, somit bleibt die kritische Phase monatelang bestehen. Eine konsequente Therapie der betroffenen Kinder ist daher meist schwierig. Die Erkrankungsdauer ist von der Ausprägung abhängig und kann von wenigen Monaten bis zum Abschluss der Erkrankung nach mehreren Jahren andauern.
Als Therapiemöglichkeiten stehen zur Verfügung:
Bei der konservativen Therapie wird versucht, das Hüftgelenk zu entlasten bzw. es in eine Stellung zu bringen, die sich günstig auf eine Heilung auswirkt (so genanntes Containment).
Zur Behandlung stehen folgende Methoden zur Verfügung:
Heute werden entlastende Orthesen und Gips viel seltener angewendet als früher.
Eine Schmerzbehandlung ist vor allem in der akuten inflammatorischen Frühphase sinnvoll. Neben einer Gelenkschonung sollte bis zum Abklingen des akuten Schmerzes ein nichtsteroidales Antiphlogistikum (NSAR), z.B. Ibuprofen, gegeben werden. Die medikamentöse Behandlung hat in der chronischen Behandlung keine Bedeutung.
Droht oder beginnt ein Containmentverlust, so muss die konservative Behandlung aufgegeben werden. Bei prognostisch ungünstigen Verläufen oder Versagen der konservativen Therapie sind zur Verbesserung des Containments verschiedene operative Maßnahmen indiziert.
Ziel der operativen Therapie ist die Vorbeugung vor auftretenden Deformitäten und die Wiederherstellung der Gelenkkongruenz. Dies wird auch als Containment-Therapie bezeichnet, da der Hüftkopf wieder vollständig von der Hüftpfanne überdacht und somit das Hüftgelenk rezentriert werden soll (cintained hip).
Voraussetzung für eine erfolgreiche operative Therapie ist eine gute Hüftgelenksbeweglichkeit mit mindestens 30º Abspreizfähigkeit. Besteht eine höhergradige Bewegungseinschränkung, so gilt dies als Kontraindikation für eine operative Maßnahme. Das Kind sollte zum Zeitpunkt der Operation idealerweise in der frühen Phase der Erkrankung (Fragmentations- oder frühes Reparationsstadium) sein, um das in dieser Phase noch vorhandene Remodellierungspotenzial des Hüftkopfes zu nutzen.
Etablierte Verfahren bei der Morbus Perthes Behandlung:
Die Prognose der Erkrankung des Morbus Perthes ist gut. Bei etwa 40 Prozent der Patienten ist mit einem ungünstigen Verlauf zu rechnen. Je später das Kind erkrankt, desto ungünstiger ist die Prognose. Viele Patienten leiden im mittleren Lebensalter schließlich unter chronischen Hüftbeschwerden und wegen der Beinlängendifferenz auch an Wirbelsäulenbeschwerden.
Grundsätzlich kann man jedoch sagen, dass die Erkrankungen vor dem 10. Lebensjahr eine günstigere Prognose hinsichtlich der Deformität besitzen, da der Körper im jüngeren Alter noch eine höhere Regenerationspotenz besitzt. Dagegen erleiden Kinder über 10 Jahren mit einer nahezu 100 prozentigen Wahrscheinlichkeit ein degeneratives Verschleißleiden der Hüfte (Coxarthrose). Zwar wird durch die Operation die Aussicht auf die Wiederherstellung eines normalen Hüftgelenks verbessert, der eigentliche Heilungsverlauf wird aber nicht abgekürzt.
Als ungünstige Faktoren gelten:
Hilfreiche Maßnahmen und Tipps zur Vorbeugung:
Letzte Aktualisierung am 10.05.2021.