Die Hüftdysplasie beschreibt eine kindliche Reifungsstörung mit Störung der Pfannendachverknöcherung. Der Hüftkopf kann in der weiteren Entwicklung aus der Pfanne luxieren (auskugeln) und sich eine Hüftluxation entwickeln. Die Hüftdysplasie kann entweder allein oder zusammen mit anderen angeborenen Fehlbildungen vorkommen und gilt als Hochrisikofaktor für die Entwicklung einer Hüftarthrose (Coxarthrose). Durch das fehlende Pfannendach wird die Gewichtsübertragung vom Oberschenkel auf das Becken durch fehlende Kongruenz der Gelenkpartner ungünstig beeinflusst.
Es gibt viele Faktoren, welche die Entstehung der Erkrankung begünstigen oder teilweise verursachen. Ein wichtiger Faktor ist vor allem die Beckenendlage. Ohne Behandlung kann es bei schweren Formen der Erkrankung zu bleibenden Schäden des Hüftgelenks mit Gangstörung, Hinken und Schmerzen kommen. Endzustand schwerer Formen ist die Hüftarthrose. Die Erkrankung betrifft vor allem Mädchen. Das Geschlechtsverhältnis weiblich zu männlich beträgt 4:1.
Das Hüftgelenk ist ein Kugelgelenk und setzt sich aus dem Hüftgelenkskopf (Caput femoris) und der Hüftgelenkspfanne (Acetabulum) zusammen. Der Hüftgelenkskopf gehört zum Oberschenkel und die Hüftgelenkspfanne zu den Beckenknochen. Da das Hüftgelenk ein Kugelgelenk ist, ist sie prinzipiell in alle Richtungen frei beweglich. Das Ausmaß der Beweglichkeit wird jedoch durch Bänder, Muskeln und die Gelenkpfanne eingeschränkt. Die Hüftgelenkspfanne umschließt den Hüftkopf zu deutlich weniger als 50 Prozent seiner Oberfläche. Dadurch wird einerseits eine hohe Beweglichkeit des Hüftgelenkkopfs im Raum ermöglicht, andererseits ist jedoch der Hüftgelenkskopf leicht aus der Hüftgelenkspfanne entfernbar (luxierbar). Ab dem Kleinkindesalter wird eine ausreichende knöcherne Stabilisierung und Stabilisierung durch Bänder und Muskeln gewährleistet.
Grundsätzlich werden drei verschiedene Ursachen einer Hüftdysplasie unterschieden:
Das Hüftgelenk besteht beim Neugeborenen, im Gegensatz zum Kleinkind, Kind, Jugendlichen oder Erwachsenen, aus Knorpel. Während der normalen Entwicklung wird im Säuglingsalter (3. bis 9. Lebensmonat) die Knorpelsubstanz fortlaufend durch Knochensubstanz ersetzt. Eine richtige Stellung von Hüftkopf zu Hüftpfanne ist für die regelmäßige Verknöcherung (Ossifikation) des Hüftgelenks unerlässlich, da die bei Bewegungen des Hüftgelenks entstehenden Kräfte und Belastungen die Verknöcherung fördern. Ist nämlich die Stellung von Hüftkopf und Hüftpfanne nicht korrekt (Fehlstellung), so kommt es ohne Korrektur zu einer Verknöcherung der Fehlstellung. Zum Teil bilden sich Hüftpfanne und Hüftkopf nicht regelrecht in Form und Größe aus. Mittelfristig führt dies zu einer mangelhaften Funktion des Hüftgelenks mit nachfolgender Schädigung und Zerstörung (Arthrose).
Eine Dysplasie kann auch durch Entwicklungsstörungen der knorpeligen Anlage des Hüftgelenks hervorgerufen werden. Fällt die knorpelige Anlage der Hüftgelenkspfanne zu klein aus, so kann der ebenfalls noch knorpelige Hüftkopf, auch bei anfänglich richtiger Position in der Hüftgelenkspfanne, nicht mit ausreichender Sicherheit in der richtigen (zentrierten) Position gehalten werden. In der Folge wird das Herausrutschen des Hüftkopfes aus der zentrierten Position in der Hüftgelenkspfanne erleichtert. Das leichte Herausrutschen wird als Subluxation (Teilverrenkung), das vollständige Herausrutschen als Luxation (Verrenkung) bezeichnet.
Mädchen tragen ein sechs mal höheres Risiko an einer Hüftdysplasie zu erkranken als Jungen. Es gibt verschiedene Risikofaktoren, die die Entwicklung einer Hüftdysplasie fördern. Folgende Faktoren sind sicher belegt:
Eine Hüftdysplasie muss beim Neugeborenen nicht unbedingt zu Beschwerden führen. Oft fällt die Hüfterkrankung erst mit Beginn des Laufens auf. Das kindliche Hüftgelenk besitzt aber nur bis zum Ende des 2. Lebensjahres eine Nachreifungspotenz. Daher ist eine frühzeitige Diagnosestellung von großer Bedeutung. Hinweisende Beschwerden können sein:
Liegt eine Auskugelung des Hüftgelenks vor, so ändern sich die mechanischen Hebel der Hüfte. Die Muskulatur kann das Becken beim Laufen nicht mehr waagerecht halten. Hierdurch kommt es zu einer Art „Watschelgang", der als Duchenne-Hinken bezeichnet wird. Beim Einbeinstand der erkrankten Seite fällt das Becken durch Muskelschwäche der Abduktoren (Hüftabspreizer) zur Gegenseite. Dieses Phänomen wird in der Medizin auch als positiver Trenedelenburg-Test bewertet.
Die Diagnose erfolgt durch folgende Schritte:
Bei der Erhebung der Krankengeschichte sollte zielgerichtet auf die oben genannten Risikofaktoren eingegangen werden. Weiterhin sollte man erfragen, wann der erste Laufversuch unternommen wurde, ob ein Hinken aufgefallen ist, ob Asymmetrien im Bereich des Gesäßes bestehen und ob eine verstärkte Hohlkreuzbildung im Stehen auffällt.
Durch die Inspektion und die klinische Untersuchung können erste Hinweise auf das Vorliegen einer Hüftdysplasie gewonnen werden. Bei der Inspektion des Neugeborenen oder Säuglings in Bauchlage fällt primär eine Ungleichheit (Asymmetrie) der Gesäßfalten auf, da durch ein Auskugeln des Hüftgelenks der Hüftkopf höher tritt. Trotzdem ist der Rückschluss, dass jede Faltenasymmetrie zwangsläufig eine Hüftluxation sein muss, nicht zulässig. So ist beispielsweise bei einer beidseitigen Luxation keine Asymmetrie vorhanden, da beide Hüften ausgekugelt sind. Bei diesen Kindern kommt es jedoch kompensatorisch zu einer verstärkten Hohlkreuzbildung (Hyperlordose). Des Weiteren kann die Schonung eines Beines mit gehemmter Abspreizung oder eine Längendifferenz der Beine ein Hinweis auf eine Hüftdysplasie sein.
Bei der klinischen Untersuchung wird vor allem die Stabilität und die Auskugelbarkeit des Gelenkes überprüft. Hier ist vor allem die Untersuchungsmethode nach Ortaloni zu nennen. Bei dieser Untersuchung wird versucht, das Hüftgelenk durch Druck von außen auf den Hüftkopf auszukugeln oder zumindest auf den Pfannenrand des Beckens zu stellen. Der Oberschenkel des Neugeborenen wird durch Druck zunächst nach hinten und anschließender Abspreizung leicht aus einer dysplastischen Gelenkpfanne herausgedrückt. Durch eine Lageveränderung des Hüftkopfes versucht der Untersucher den Hüftkopf nun wieder in die Pfanne zurückspringen zu lassen. Unter der Hand des erfahrenen Untersuchers ist dies als deutliches Klicken oder Schnappen zu spüren. Dieses Phänomen wird als positives Ortaloni-Zeichen bewertet. Durch Auslösung des Ortaloni-Zeichen kann die Verdachtsdiagnose gestellt werden.
Das Ortaloni-Zeichen ist bei einem gesunden Hüftgelenk nicht auslösbar. Die Durchführung ist jedoch umstritten und sollte nach einem positiven Befund nicht unnötig wiederholt werden, da hierdurch sowohl die Hüftpfanne als auch die Blutversorgung zum Hüftkopf beschädigt werden kann. In der Folge könnte sich eine Hüftkopfnekrose (Knochennekrose oder Knocheninfarkt des Hüftkopfes) ausbilden. Auch bei einer Hüftluxation ist die Untersuchung eher problematisch, da der Hüftkopf nicht wieder in die Pfanne zurückspringt. Hier lässt sich ebenfalls das Ortaloni-Zeichen nicht auslösen.
Das wichtigste Diagnostikum einer Hüftdysplasie ist der Ultraschall der Säuglingshüfte, welches in den ersten Lebenswochen durchgeführt werden sollte. Die Methode wurde vom österreichischen Professor Dr. Graf Anfang der 80er Jahre entwickelt. Vorteil dieser Methode ist, dass sie frei von jeglicher Strahlenbelastung ist (keine Röntgenstrahlen) und daher beliebig häufig wiederholt werden kann. Die Untersuchung ist zudem schmerzlos uns kann vom erfahrenen Untersucher schnell und einfach angewendet werden. Das Röntgenbild hat hinsichtlich der frühzeitigen Diagnosestellung eine begrenzte Aussagekraft, da große Teile des Hüftgelenks noch nicht knöchern, sondern nur knorpelig angelegt sind. Bei der Ultraschalluntersuchung vom Hüftgelenk werden Weichteilstrukturen des Gelenkes sichtbar gemacht. Dadurch kann der knorpelige Anteil vom Pfannendach und Hüftkopf hinsichtlich einer Dysplasie gut beurteilt werden.
Die Sonographie sollte routinemäßig bei der U2 und U3 durchgeführt werden. Die Aussagefähigkeit des Ultraschalls nimmt mit zunehmender Verknöcherung von Hüftkopf und Hüftpfanne ab, da die Ultraschallwellen den Knochen nicht durchdringen können. Deshalb kann eine Ultraschalluntersuchung zur Hüftdysplasiebeurteilung bis zur Beendigung des ersten Lebensjahres durchgeführt werden, danach ist die Röntgenuntersuchung überlegen. Als Beurteilungshilfe entwickelte Professor Graf zwei Messwinkel, zur Bewertung des Pfannendaches. Durch das Pfannendachwinkel alpha und Knorpeldachwinkel beta sowie unter Berücksichtigung des Alters, lassen sich die Grade der Dysplasie einschätzen und entsprechende Therapieformen daraus ableiten. Es gelten folgende Messwinkel der Hüftdysplasie nach Graf:
Durch Röntgenuntersuchungen können präzise Aussagen über die Verknöcherung des Hüftgelenks und die Stellung der Bestandteile des Hüftgelenks zueinander gemacht werden. Da sie keine Knorpelstrukturen abbilden, werden sie selten vor dem ersten Lebensjahr durchgeführt. Zudem ist eine Röntgenuntersuchung für eine operative Planung zwingend erforderlich. In der Regel wird eine so genannte Beckenübersichtsaufnahme (BÜS) angefertigt, bei der das Becken mit den Hüftgelenken von vorne nach hinten geröntgt wird. Hierbei werden die Stellung von Hüftkopf und Hüftpfanne beurteilt. Weitere wichtige Messwerte sind:
Ein wesentlicher Nachteil ist die Strahlenbelastung.
Das MRT kommt nur selten zum Einsatz, erlaubt aber eine sehr gute Aussage über Knorpel, Knochengrenzen und Knochenmark sowie Weichteilverhältnisse. Leider ist die Durchführung bei Neugeborenen und Säuglingen etwas schwierig, da die ausreichende Ruhigstellung bei dem mit der Kernspintomographie verbundenen Lärm nur selten allein und ohne Hilfe von Beruhigungs- oder Schlafmitteln erfolgt.
Bei leichteren Formen der Hüftgelenkfehlbildung reicht es meistens aus, das Kind konsequent breit zu wickeln. Durch moderne Windelsysteme wird das Wickeln von Säuglingen in gespreizter Beinhaltung unterstützt. Auch das Tragen im Babytragetuch kann Dysplasien entgegenwirken. Man sollte hierbei unbedingt auf einen Steg achten, der die Beine korrekt abspreizt, er sollte von Kniekehle zu Kniekehle reichen und eine Abspreizung von 30 bis 45 Grad beidseitig (also pro Seite) ergeben. Zudem dürfen die Beine nicht herabhängen. Das Baby sollte vielmehr im Tragetuch hocken. Es stehen folgende Therapiemöglichkeiten zur Verfügung:
Durch eine frühzeitige Therapie einer Hüftdysplasie kann das Pfannendach noch nachreifen und dadurch eine Hüftarthrose verhindert werden. Zu den konservativen Therapiemaßnahmen gehören:
Bei dieser Behandlung versucht man durch gezielte Stellung des Hüftkopfes in der Hüftpfanne das Wachstum des „dysplastischen" Pfannendaches günstig zu beeinflussen. Hierfür kommen verschiedene Hilfsmittel in Frage. Meist wird die Spreizhose oder die Hüftbeugeschiene angewendet. Dadurch wird das Hüftgelenk abgespreizt und stark gebeugt, wodurch sich der Hüftkopf tief in die Hüftpfanne einstellt. Das Gelenk wird dadurch zum vollständigen Nachreifen gebracht. Diese Therapie ist nur innerhalb der ersten 12 Monate sinnvoll. Zur Anwendung kommt dieses Verfahren beim Dysplasietyp 2a-c.
Die Reposition wird bei einer höhergradigen Hüftdysplasie (Typ 2d-4) und bei älteren Kindern durchgeführt. In diesen Fällen reicht eine alleinige Abspreizbehandlung nicht aus. Hierbei wird der Hüftkopf wieder in die Hüftpfanne zurückgebracht. Zuerst wird das Gelenk eingerenkt, entweder rasch in Kurznarkose oder über drei Wochen in einem Streckverband (Overheadextension) und anschließend mit Gipsverband, Schienen oder Bandagen ruhig gestellt. Dazu eignet sich beispielsweise die Bandage nach Pavlik. Dadurch erreicht man eine fixierte Position des Hüftkopfes, dem wiederum eine Durchblutungsstörung folgen kann. Es können Teile des Hüftkopfes absterben und die Funktion des Hüftgelenkes kann dauerhaft negativ beeinflusst werden. Daher ist hier Vorsicht geboten. Eine völlige Heilung ist dabei nicht gewährleistet.
Kann das Repositionsergebnis nicht gehalten werden, so kommen Fixierungen durch Schienen und Gips in Frage. Häufig wird der so genannte Fettweiß-Gips angewendet. Hierbei wird das Hüftgelenk 100 - 110º gebeugt und etwa 45º abgespreizt. Dieser Gipstyp wird in der Regel von den Kindern gut toleriert.
Bei schweren Veränderungen kann unter Umständen eine Operation notwendig sein, so dass die Hüftköpfe wieder in die Pfannen hineinrutschen können. In der Regel werden operative Maßnahmen erst nach Versagen der oben genannten konservativen Therapien durchgeführt. Dabei werden häufig Eingriffe im Bereich des Pfannendaches mit Stellungskorrekturen des Hüftkopfes am Schenkelhals kombiniert. Häufig werden folgende Hüftkorrekturverfahren am Becken durchgeführt:
Aufgrund der anatomischen Begebenheiten werden im Kindesalter vor allem die Salter - Osteotomie durchgeführt (Grenze 8. Lebensjahr), während jenseits des 8. Lebensjahres bis zum Erwachsenenalter die Tripple - Osteotomie durchgeführt wird. Ziel aller operativen Verfahren ist die bessere Überdachung des Hüftkopfes, damit die Last sich über einen größeren Anteil des Hüftkopfes verteilt.
Die Prognose der Hüftdysplasie ist bei Früherkennung in der Regel sehr gut. In den meisten Fällen ist eine Behandlung ohne Operation durch breiter Windeln und Wickeln sowie Spreizhosen ausreichend. Auch eine Ruhigstellung durch Spreizhosen kann unter Umständen sehr sinnvoll sein. Die Notwendigkeit einer operativen Therapie besteht nur selten. Zudem ist die Prognose der Hüftdysplasie seit der Einführung des sonographischen Screenings im Neugeborenenalter erheblich verbessert worden.
Unbehandelte Fehlbildungen können später zu vorzeitigem Verschleiß führen, welches in der Medizin auch als Dysplasiecoxarthrose bezeichnet wird. Daraus resultiert eine Beinverkürzung. Im Laufe der Zeit kann es zu einer massiven Entrundung des Hüftkopfes kommen. Des Weiteren ist der Gelenkspalt fast ganz aufgehoben und das Hüftgelenk steif. Ist es bereits zu einer Ausrenkung der Hüften gekommen, so wird die Entwicklung der Motorik des Kindes erheblich behindert. Daher sollte so früh wie möglich eine operative Therapie erfolgen, um die normale Funktion der Hüften zu erreichen.
Der einzig sinnvolle Weg, um die Zahl der Krankheitsfälle zu reduzieren, ist die konsequente Untersuchung der Neugeborenen. Dies ist in der U3, also in der 4. bis 6. Woche, vorgeschrieben. Viele Ärzte bestehen jedoch auf eine Vorverlegung der Untersuchung in die ersten Lebenstage, da die Behandlungszeit umso kürzer und die Heilungschancen umso höher sind, je früher die Therapie beginnt. Inzwischen wird bereits im Rahmen der U2 innerhalb der 1. Lebenswoche eine Hüftsonographie durchgeführt.
Letzte Aktualisierung am 10.05.2021.