Die Neutraltherapie ist ein Verfahren aus dem Bereich der Alternativmedizin, welches jedoch wissenschaftlich nicht anerkannt ist. Durch die Anwendung eines Lokalanästhetikums soll das vegetative Nervensystem beeinflusst werden und Fernwirkungen hervorrufen. Bisher konnte dieser Wirkmechanismus jedoch wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden.
Wirkmechanismus
Lokalanästhetika haben eine schmerzstillende und entzündungshemmende Wirkung. Sie regen außerdem den Lymphfluss an. Bisher sind die genauen theoretischen Zusammenhänge nur ansatzweise erforscht. Neuraltherapeuten behaupten, übergeordnete Regelkreise beeinflussen zu können, die Muskeln, Nerven und Hormonsysteme betreffen. Dies lässt sich jedoch durch die Wirkung der örtlichen Betäubungsmittel allein nicht erklären. Als mögliche Erklärung wird die Herd- und Störfeldtheorie angegeben. Ein Störfeld kann z.B. eine entzündete Rachenmandel sein, von der Dauerreize in den Körper ausgesendet werden. Diese Störfelder können nun an bestimmten Orten, die in ihrer Abwehrkraft geschwächt sind, Beschwerden auslösen. Durch die Injektion eines Lokalanästhetikums in ein Störfeld, werden zumindest für eine gewisse Zeit, keine schädlichen Dauerreize mehr gesendet. In dieser Zeit werden die Selbstheilungskräfte des Organismus unterstützt. Der Körper kommt wieder in die Lage, die Beschwerden aus eigener Kraft zu beseitigen.
Behandlungsformen der Neuraltherapie
Nach einer ausführlichen Anamnese und körperlichen Untersuchung werden verschiedene Stichtechniken angewandt, mit denen ein örtliches Betäubungsmittel in bestimmte Körperzonen gespritzt wird. Dabei reicht die Bandbreite von oberflächlichen Stichen knapp unter die Haut bis zu 12 Zentimeter tiefen Injektionen. Bei der Injektion werden nur sehr kleine Mengen und geringe Konzentrationen des Lokalanästhetikums verwendet. In akuten Fällen kann die Injektion täglich durchgeführt werden, dagegen bei chronischen Leiden nur einmal wöchentlich beziehungsweise bei Wiederauftreten der Beschwerden. Empfohlen wird meist eine Serie von mindestens fünf Behandlungen. Unter Neuraltherapeuten gilt das Sekundenphänomen, also das Aussetzen des Schmerzes innerhalb von wenigen Sekunden, als bewiesen, wenn die behandelte Person nach Injektion in ein Störfeld mindestens 20 Stunden lang (bei Zähnen acht Stunden lang) beschwerdefrei ist. Diese Zeit reicht weit über die Wirkungsdauer des Betäubungsmittels hinaus, welches in der Regel meist nur 30 bis 60 Minuten anhält. Auch hier kann es, wie bei anderen komplementärmedizinischen Verfahren, zu einer Erstverschlechterung der Symptome kommen. Das zeigt jedoch, dass der Körper auf die Behandlung anspricht und die Heilreaktion durch die Aktivierung der Selbstheilungskräfte einsetzt.
Stichtechniken und Behandlungsformen der Neuraltherapie sind:
Segmenttherapie
Bei der Segmenttherapie wird ein Lokalanästhetikum mit einer dünnen Kanüle knapp unter die Oberfläche der Haut (Hautquaddeln, erinnern an Insektenstiche oder Flohbisse) oder an Ganglien im Bereich der entsprechenden Headschen Zonen der inneren Organe gespritzt. Meist werden mehrere Quaddeln gespritzt, z.B. entlang der Wirbelsäule oder rund um den Kopf. Als Lokalanästhetikum werden hier in der Regel Procain, aber auch Lidocain oder Prilocain injiziert. Über das vegetative Nervensystem soll die Wirkung im betroffenen Segment vermittelt werden.
Störfeldtherapie
Bei Störfeldern handelt es sich um chronische Entzündungszustände, die den gesamten Organismus energetisch schwächen und Beschwerden in anderen Bereichen des Körpers hervorrufen können.
Die häufigsten Störfelder sollen sich befinden in:
- Mandeln
- Nasennebenhöhlen
- Zahn-Kiefer-Region
- Schilddrüse
- Narben
Durch die Injektion eines Lokalanästhetikums in das Störfeld wird versucht, die Störwirkung zu unterbrechen. Hierbei sollen vor allem elektromagnetische Signale ausgeschaltet werden, da sie über das vegetative Nervensystem Erkrankungen in verschiedenen Bereichen des Körpers auslösen können. Das Auffinden des Störfeldes erfolgt über das Sekundärphänomen: Sind die Beschwerden nach Injektion eines Lokalanästhetikums innerhalb von Sekunden für mindestens 20 Stunden gebessert, und ist dieses Phänomen reproduzierbar, so ist die Quelle des Störfeldes gefunden.
Zu den Injektionstechniken der Neuraltherapie gehören:
- Quaddeln
Mit einer dünnen Kanüle wird ein Betäubungsmittel direkt unter die Hautoberfläche gespritzt, so dass sich Quaddeln, ähnlich wie Insektenstiche, bilden.
- Infiltration
Hierbei wird das Lokalanästhetikum tiefer in die Muskulatur gestochen. Meist erfolgt die Injektion an Stellen, die sich knotig verhärtet oder verspannt anfühlen.
- Intravenöse Injektion
Das Betäubungsmittel wird in die Vene gespritzt und eine kleine Menge in das umliegende Gewebe, um die Nerven noch zusätzlich zu beeinflussen. Man verwendet hierbei meist nur 1 ml des Lokalanästhetikums.
- Intraarterielle Injektion
Die Injektion erfolgt hier in eine Arterie und sollte daher nur von sehr erfahrenen Neuraltherapeuten durchgeführt werden. Sie kommt meist bei arteriellen Durchblutungsstörungen zur Anwendung.
- Narbenbehandlungen
Sind Narben die Störfelder, so erfolgt die Injektion des Lokalanästhetikums mit einer sehr dünnen Kanüle meist an mehreren Punkten in und unter die Narbe.
- Injektionen an Nervenaustrittspunkten
Hierbei wird das Lokalanästhetikum meist an diejenige Stelle gespritzt, an der der Nerv aus dem Knochen austritt und die Oberfläche erreicht.
- Injektionen an Nervenwurzeln (Spinalwurzeln) und Nervenknoten (Ganglien)
Hier können meist größere Körperzonen und übergeordnete Regelkreise beeinflusst werden. Die verwendeten Nadeln sind oft etwas dicker und länger.
- Gelenkbehandlungen
Durch Injektionen in die Gelenkkapsel, die Schleimbeutel oder Bänder können Gelenkbeschwerden behandelt werden. Selten erfolgt die Injektion direkt in das Gelenk.
Anwendungsgebiete
Die Neuraltherapie kommt am häufigsten zur Anwendung:
- als Schmerzbehandlung, z.B. bei Migräne oder rheumatischen Schmerzen
- bei Entzündungen
- nach Unfällen und Operationen (schnellere Rehabilitation)
- bei chronischen Erkrankungen
- bei funktionellen und hormonellen Störungen
- Magenbeschwerden
- Angina pectoris
- Schlaganfälle (zur Linderung der Folgen)
- Arteriosklerose
- Regelbeschwerden
Nebenwirkungen und Komplikationen der Neuraltherapie
Leider kommt es immer wieder zu tödlichen Zwischenfällen. Bekannte Nebenwirkungen und Komplikationen sind:
- Herzrhytmusstörungen
- ZNS-Symptome
- Perforation des Augapfels
- Krampfgeschehen (wegen Überempfindlichkeit gegen Procain)
- tödliche Hirnblutung nach Injektion in die Arteria vertebralis
- tödliche Verletzungen nach Stellatum-Injektionen
- tödliche Verletzung der Bauchspeicheldrüse
- allergische Reaktionen
Reaktionen wie Zittern, Herzklopfen und Schwitzen sind meist völlig normal und verschwinden nach wenigen Minuten wieder. Die behandelte Person sollte jedoch bei Schwindelgefühlen und niedrigem Blutdruck, nach der Therapie eine halbe Stunde lang ruhen und unter ärztlicher Beobachtung bleiben.
Wer trägt die Kosten für die Behandlung?
Da die behauptete Wirksamkeit wissenschaftlich nicht bewiesen ist, werden die Kosten der Behandlung nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.